Delphi, ein Bilderbuch griechischer Mauerwerkstechnik

Im antiken Griechenland galt Delphi als «Mittelpunkt der Welt», das Heiligtum mit seinem berühmten Orakel hatte eine enorme religiöse und politische Bedeutung. Die Anlage hat eine lange Baugeschichte, die durch Zerstörung (Erdbeben, Brand), Neu- und Wiederaufbau eine Vielzahl von Steinbauten hervorgebracht hat. Neben dem zentralen Apollontempel sind zahlreiche kleinere Bauten, wie etwa die Schatzhäuser, zu nennen. Diese wurden entlang der sogenannten «Heiligen Straße» auf dem Weg zum Apollontempel errichtet und dienten den griechischen Stadtstaaten zur Aufbewahrung ihrer Weihgeschenke [1]. 

[1] Eine gute Übersicht zu Delphi findet sich z.B. hier: Michael Maaß: Das Antike Delphi. München 2007.

Nicht nur die Steinbauten - hier der Apollontempel - sondern auch die spektakuläre Umgebung machen Delphi zu einem lohnenswerten Ziel. Foto: P. Völkle ©

Lageplan von Delphi. Grundlage: Wikipedia/P. de La Coste-Messelière : Au Musée de Delphes. Recherches sur quelques monuments archaiques et leur décor sculpté. Paris: E. de Boccard 1936

Beispiele verschiedener Mauerwerkstypen

Bei einem Rundgang durch die Ausgrabungsstätte von Delphi lassen sich die unterschiedlichsten Mauerwerkstypen der griechischen Antike beobachten: Neben der langen Entstehungszeit (von der mykenischen bis zur römischen Epoche) sind auch die vielfältigen Einflüsse aus den verschiedenen Regionen Griechenlands von großer Bedeutung. So kamen neben den lokalen Kalksteinen auch ganz unterschiedliche Marmorsorten zum Einsatz. Diese wurden für den Bau der prachtvollen Schatzhäuser über weite Strecken transportiert (etwa Marmor von den Kykladeninseln Siphnos oder Naxos[2]). Mit den Materialien kamen auch die spezialisierten Bauleute und damit sicher auch die jeweils angepassten Techniken zur Anwendung.

Der nebenstehende Plan zeigt einige ausgewählte Bereiche, die Bildnummern folgen dem Gang durch die Anlage.

[2] Maaß, S. 54.


1. Isodomes Mauerwerk mit Kerbendekor 

Gleich beim Betreten der "heiligen Straße" fällt linker Hand ein besonders schönes Beispiel einer isodomen Mauer mit Kerbendekor auf. Diese Zierbearbeitung wurde mit einem Spitzeisen ausgeführt, wobei das Eisen jeweils in kurzen Abschnitten  sehr akkurat in Bahnen geführt wurde. Die Bearbeitung erfolgte diagonal und wechselte in den oberen zwei Schichten die Richtung. Diese Art der Bearbeitung war im 4. und 3. Jh. v. Chr. (die Mauer entstand vermutlich um 400 v. Chr.) weit verbreitet und wurde vor allem als dekoratives Gestaltungselement an Sockeln und Terrassenmauern verwendet [3].

[3] Jürgen Giese: "Kerbendekor" und "gesäumte Spitzung". Zur Entwicklung und Bedeutung griechischer Werksteinoberflächen im 4. Jh. v. Chr. In: Werkspuren - Materialverarbeitung und handwerkliches Wissen im antiken Bauwesen p. 119-133. Regensburg 2017.

Durch die dünnen Fugen und den fast fehlenden Randschlag sollte vermutlich eine  monolithische Mauerwirkung erzielt werden. An einem Teil der Quader sind noch die Buckelbossen (gelber Pfeil) sichtbar, mit denen die Quader versetzt wurden. Sie könnten entweder zur Befestigung von Seilen oder zum Ansetzen von Hebeisen gedient haben. Meist wurden diese Bossen nach dem Versetzen abgearbeitet. Fotos: P. Völkle ©


2. Die Weihung der Argiver, um 370 v. Chr. 

In der halbrunden Anlage waren ursprünglich Stauen aufgestellt, die "mythischen Könige von Argos"[4]. Während die rückseitigen Quader der Anlage grob mit dem Spitzeisen bearbeitet sind, wurden die aus feinem Kalkstein bestehenden Sockelquader im Vordergrund sehr fein bearbeitet und mit einem deutlichen Randschlag versehen. Durch die fehlende Abdeckung in der Bildmitte lassen sich die Details des Maueraufbaus (Anathyrose) gut ablesen.

[4] Maaß S. 71

Blick auf die grob bearbeitete halbrunde Rückwand und die fein bearbeitete  Sockelzone (Orthostatenreihe). Foto: P. Völkle ©

Ein schmaler Randschlag rahmt die Spiegelfläche deutlich ein, die Oberfläche der Quader ist fein gepickt. Auch hier wurden einige Versatzbossen nach dem Versatz nicht abgearbeitet. Foto: P. Völkle ©

Hier ist deutlich die sogenannte Anathyrose zu sehen: Für das passgenaue Zusammenfügen der Quader wurde nur ein Saumstreifen akkurat und glatt ausgearbeitet, der untere Teil grob gespitzt belassen. Foto: P. Völkle ©


3. Die Polygonalmauer des Apollon-Tempels

Die polygonale Mauer aus lokalem Kalkstein stützt die Plattform, auf der der Apollon-Tempel steht. Sie wurde nach dem Brand des ersten Tempels 548 v. Chr. errichtet und ist ein imposantes Beispiel eines Mauerwerks im "lesbischen Stil". Diese Bezeichnung wird für polygonal bearbeitet Steine mit gekrümmten bzw. gekurvtem Fugenverlauf verwendet und geht vermutlich auf Aristoteles zurück. Er spricht sinngemäß davon, dass die Baumeister von Lesbos biegsamen "Lineale" aus Blei verwendeten, um die gekrümmten Fugen der Steine anzuzeichnen bzw. zu übertragen. 

Die heute etwa 117 m lange Mauer (hier ein Abschnitt der Südseite) besteht aus sehr sorgfältig behauenen Steinen mit dünnen Fugen und ist etwa 3 m hoch. Ursprünglich war sie deutlich höher, die oberen vier oder fünf Schichten bestanden aus isodomem  Mauerwerk, das heute nicht mehr vorhanden ist. Foto: P. Völkle ©

Südöstliche Mauerecke mit ganz unterschiedlich polygonal geformten Steinen. Foto: P. Völkle ©

Detail der Steinbearbeitung: Die Sichtfläche der polygonalen Werkstücke wurde fein gepickt (ohne Randschlag). Besonders eindrucksvoll sind die Inschriften freigelassener Sklaven aus dem 3. und 2. Jh. v. Chr., die auf sorgfältig geglätteten Oberflächen eingraviert wurden. Foto: P. Völkle ©

Bautechnisches Detail des Versetzvorgangs: Viele Steine haben ein bis drei Vertiefungen in der Oberfläche. Diese dienten zum Ansetzen einer Steinzange oder der Unterstützung mit dem Hebeisen. Foto: P. Völkle ©

Die Ostwand der Plattform zeigt im oberen Bereich noch Lagen des isodomen Mauerwerks. Foto: P. Völkle ©

Südostecke der Ostwand mit zwei Details zur Steinbearbeitung und Versetztechnik. Foto: P. Völkle ©

Detail 1: Die Bruchstelle im Mauerwerk zeigt die Bearbeitungsspuren der Fugenfläche: Im Vordergrund der mit dem Schlageisen fein bearbeitet Randschlag, ca. 3-4 cm breit. Weiter innen wurde die Fugenfläche lediglich gespitzt und außerdem etwas tiefer ausgearbeitet (Anathyrose).  Foto: P. Völkle ©

Detail 2: Gepickte Oberfläche und etwa 4 cm breit ausgearbeitete Vertiefung. zum Ansetzen der Steinzange oder  eines Hebeisens. Foto: P. Völkle ©


4. Westwand der Theatertreppe

Isodomes Mauerwerk mit Randschlag.

Sehr gleichmäßiger Mauerabschnitt mit deutlichem Randschlag und leichter Bossenstruktur des Spiegels. Foto: P. Völkle ©

Der Spiegel wurde mit einem breiten Eisen oder einer Dechsel nur grob überarbeitet. Foto: P. Völkle ©


5. Einfassungsmauer 

An mehreren Stellen des Apollonheiligtums ist die Umfassungsmauer (Peribolos) aus Polygonalmauerwerk in lesbischem Stil noch deutlich zu erkennen. So auch westlich des Apollontempels Richtung Theater, hier zeigt sich auch deutlich die verzahnende bzw. verklammernde Wirkung dieses Mauerwerktyps.

Die dem Geländeverlauf verlaufende Polygonalmauer wurde an der Oberfläche wesentlich gröber bearbeitet als die Stützmauer des Apollontempels. Trotzdem zeigen die in lesbischem Stil bearbeiteten Werkstücke eine hohe Qualität mit passgenauen Fugen. Foto: P. Völkle ©

Beispiel eines besonders aufwändig gestalteten Mauersteins mit zehn Anschlussflächen in gerader und gebogener Ausführung. Foto: P. Völkle ©


6. Die Stützmauer des Theaters

 Das erste steinerne Theater  wurde im dritten Jh. v. Chr. erbaut und in der Folge mehrfach umgebaut. Aufgrund der starken Beschädigungen sind leider viele Bearbeitungsspuren verschwunden, dennoch ist die glatte und gleichmäßige Oberflächenstruktur ohne Randschlag mit akkuraten Fugen gut erkennbar.


7. Die Stützmauer des Stadions

Das ursprüngliche Stadion von Delphi wurde im 5. Jahrhundert v. Chr. erbaut. Es befindet sich oberhalb heiligen Bezirks und wurde in den Hang des Berges hineingebaut, seine Südseite künstlich durch eine gemauerte Terrasse gestützt. Das Stadion ist etwa 177 Meter lang und bietet Platz für rund 6.500 Zuschauer. 

Die Mauer wurde offensichtlich nur sehr grob bearbeitet, die optische Wirkung war vermutlich zweitrangig. Es handelt sich um polygonale und annähernd rechteckige Formen, teilweise sind sie trapezoid ausgearbeitet und wirken eher wie ein Bruchsteinmauerwerk. Trotzdem sind die Fugen sehr sorgfältig ausgearbeitet. Foto: P. Völkle ©

Die Oberfläche des spröden Kalksteins wurde nur mit dem Spitzeisen grob bearbeitet. Randschläge fehlen fast vollständig. Foto: P. Völkle ©