Die Steinbautechnik der Khmer: Der Tempelkomplex von Angkor

Das Reich der Khmer war vom späten 8. bis ins 15. Jhd. eines der größten und mächtigsten Reiche Südostasiens. Es umfasste Teile des heutigen Kambodscha, Thailand, Laos und Vietnam. Angkor war das Zentrum des Reiches und besteht aus über 1000 Tempeln und steinernen Heiligtümern, die in dieser Zeit auf einer Fläche von über 400 km2 erbaut wurden. Dabei ist Angkor Wat der größte und sicher bekannteste Tempel der in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts von dem Herrscher Suryavarman II erbaut wurde. Er gilt als eines des größten religiösen Bauwerke der Welt. Daneben gibt es aber eine Vielzahl weiterer, spektakulärer Tempel und Tempelanlagen wie etwa Angkor Thom mit dem Bayon-Tempel, Ta Prohm oder die «Terrasse der Elefanten» um nur einige zu nennen. Eine sehr gute Übersicht mit vielen Detailinformationen über die Bauten in Angkor - wie etwa zeitliche Zuordnung oder Grundrisspläne -  findet sich auf der Webseite orientalarchitecture.com, eine schöne Bildergalerie mit vielen Impressionen und Detailabbildungen auf der deutschsprachigen Seite khmer-heritage.de.

 

Der Einflussgebiet des Khmer-Reiches (rot), um 900 n. Chr.

Karte: Jembezmamy, CC0, via Wikimedia Commons.

Lageplan von Angkor (© tripangkor.com).

Ta Prohm: Bekannt durch die sogenannten  Würgefeigen. Foto: P. Völkle ©


Mein Aufenthalt in Angkor

2017 erhielt ich von Prof. Dr. Hans Leisen und Dr. Esther von Plehwe-Leisen - die sich seit 1995 im Rahmen des German Apsara Conservation Project (GACP) um den Erhalt verschiedener Tempelanlagen in Angkor kümmern - eine Einladung nach Kambodscha und das Angebot, mich mit der Steinbautradition in Angkor zu beschäftigen. Daraus ergab sich ein dreiwöchiger Studienaufenthalt, bei dem ich mich intensiv mit den verschiedenen Tempelanlagen auseinandersetzen konnte und die Gastfreundschaft von Hans und Esther Leisen im GACP-Projekthaus genießen durfte.
Dabei interessierte mich vor allem die Frage, ob es Ähnlichkeiten oder gar Gemeinsamkeiten in den Steinbearbeitungstechniken zwischen dem europäischen Mittelalter (800-1500) und der etwa zeitgleich aufblühenden Khmer-Kultur gibt, oder ob es zu völlig unterschiedlichen Herangehensweisen bei der Bearbeitung der Werksteine kam. Die Ergebnisse der Beobachtungen werden im Folgenden zusammengefasst.


Die Baumaterialien 

Die Tempel von Angkor wurden aus den Baumaterialien Backstein mit Putz bzw. Kalkstuck, Laterit sowie Sandstein erbaut. Dabei kam der Backstein vor allem in der Frühzeit zur Anwendung, Laterit wurde für untergeordnete Bauteile verwendet und Sandstein kam für alle wichtigen Fassaden, Reliefs und Skulpturen zum Einsatz.

Backsteine und Kalkstuck

In der frühen Zeit der Khmer-Kultur spielten Backsteine eine bedeutende Rolle in der Architektur. Ton bzw. Lehm - der Rohstoff für die Herstellung von Backsteinen - war reichlich vorhanden. Am Beispiel von Preah Ko aus dem 9. Jhd. kann man die Bauweise sehr gut nachvollziehen: Die Backsteine wurden ohne Mörtel verlegt - vermutlich verklebt mit einem pflanzlichen Bindemittel - was einen dichten und kompakten Baukörper ergab. Die Oberfläche wurde dann verputzt bzw. mit Kalkstuck versehen und mit aufwändigen Ornamenten bis hin zu bildhauerisch gestalteten Reliefs verziert. Besonders interessant ist die Bearbeitung des fast monolithisch anmutenden Backsteins vor dem Stuckauftrag: An den gestalteten Bauteilen wie Türstürzen oder Säulen  wurde die grobe Form bildhauerisch aus den Backsteinen  herausgearbeitet und anschließend  mittels Stucktechnik verfeinert. Dabei zeigt sich eine gestalterische Differenzierung an den Tempelfassaden: Während an den Rückseiten  die Zierteile  aus dem beschriebenen Stuck gefertigt wurden, kamen an der Schaufront  Türeinfassungen und Stürze aus dem "edleren" und aufwändiger zu bearbeitenden Sandstein zum Einsatz. Besonders bemerkenswert an den Stuckornamenten ist ihr heutiger Zustand. Auch wenn nach 1100 Jahren große Bereiche beschädigt oder abgefallen sind, zeigen die vorhandenen Mörtel eine beeindruckende Qualität hinsichtlich Gestaltung und Haltbarkeit

Laterit

Das zweite wichtige Baumaterial in Angkor war Laterit. Es ist ein Verwitterungsprodukt des anstehenden Gesteins mit grober Struktur und rötlich-brauner Farbe. Laterit ist relativ weich und sehr gut abbaubar, aber aufgrund seiner Struktur nur als Füllmaterial oder für einfache Mauern geeignet. In Struktur und Verwendung ist er am ehesten mit einem groben Kalktuff vergleichbar. Im Allgemeinen ist Laterit sehr beständig und auch nach Jahrhunderten noch in gutem Zustand. Ein besonders schönes Beispiel ist der um 960 erbaute Tempel von Pre Rup, bei dem der gesamte Unterbau, große Mauerteile und auch kleinere Gebäude aus Laterit errichtet wurden. Auffallend ist  - wie beim Sandstein - die exakte Fugenausbildung der Lateritmauern.

Abbau und Bearbeitung von Laterit

Diese beiden Filme zeigen den Abbau und die Bearbeitung von Laterit. Gut erkennbar ist vor allem wie weich das Material ist und wie schnell und rationell es bearbeitet werden kann. Vermutlich hat sich im Laufe der Jahrhunderte kaum etwas an den Bearbeitungstechniken geändert.  

Steinabbau (ab ca. Min. 5:45)

Zurichten von Lateritquadern

Sandstein

Bei den Sandsteinen von Angkor handelt es sich um verschiedene Typen, wobei graue und gelbbraune Farbtöne vorherrschen. Die historischen Steinbrüche befinden sich am Fuße des Phnom Kulen, knapp 40 km von Angkor entfernt.  Der Transport erfolgte wohl über ein ausgeklügeltes Kanalsystem; es ist kaum vorstellbar, welcher Aufwand für den Transport der gigantischen Quadermengen notwendig war. 

Leider konnte ich  die Steinbrüche aus Zeitgründen nicht besuchen. Die folgenden Abbildungen stammen von der Geologin Anna Krause, mit der ich 2019 wegen der Abbauspuren in den Steinbrüchen in Kontakt stand. In ihrer Masterarbeit [1]  beschäftigte sie sich unter anderem mit der Identifizierung und Klassifizierung der historischer Steinbrüche.

[1]Anna Krause: Investigations of the sandstone quarries in the surrounding area of the Khmer temples in Siem Reap, Cambodia. TU München, 2019.

Blick in einen Steinbruch mit den typischen Abbaustufen. Foto: G. Lehrberger

 

Spuren des Steinabbaus. Foto: Anna Katharina Krause.

 

Identische Abbauspuren finden sich auch an einigen Stellen in Angkor, z.B. an der Nordtreppe von Angkor Wat oder an den unfertigen Quadern der sogenannten "Bibliothek". Dies deutet darauf hin, dass bei untergeordneten Bereichen, wie z.B. einer Nebentreppe, der Oberflächenbearbeitung keine große Bedeutung beigemessen und auf eine weitere Bearbeitung verzichtet wurde. Spuren des Steinabbaus an den Bauten sind jedoch relativ selten.

Angkor Wat, nördliche Treppenanlage. Typische Abbauspuren ohne weitere Bearbeitung, meist 2 runde Löcher in der Sichtfläche. Foto: P. Völkle ©

Angkor Wat, "Bibliothek": Abbauspuren aus dem Steinbruch an einer unfertigen Oberfläche (gelber Pfeil). Foto: P. Völkle ©

Die Spuren sind jedenfalls hochinteressant: Sie decken sich mit den Abbauspuren vieler anderer Kulturen, vom alten Ägypten über die Griechen und Römer bis in die Neuzeit. In Angkor wurden also sehr ähnliche Techniken angewandt, wie ich sie bei den historischen Steinbrüchen beschrieben habe. 

Mangels schriftlicher oder bildlicher Quellen lassen sich die meisten Erkenntnisse über die bautechnischen Aspekte in Angkor nur anhand der erhaltenen Spuren erklären bzw. rekonstruieren. Dies gilt auch für den Steinabbau. Allerdings gibt es hier einen weiteren kleinen Hinweis auf die mögliche Abbautechnik: Auf einer Reliefdarstellung am Bayon-Tempel (Ende 12./Anfang 13. Jh.) sieht man in der nebenstehenden Abbildung vier Männer, die mit senkrecht gehaltenen Stangen hantieren. Wird hier der Abbau der Steine mit Eisenstangen im Steinbruch gezeigt? Nach den Spuren zu schließen, wäre dies durchaus möglich, man kann sich den Vorgang ähnlich wie im Film beim Lateritabbau vorstellen.

Bayontempel: 4 Männer mit (Eisen?)stangen. Foto: P. Völkle ©


Die Steinbearbeitung

Die Steinbearbeitung und Bautechnik der Khmer basierte auf ganz anderen Voraussetzungen als die Steinbautechnik, die sich zur gleichen Zeit in Europa entwickelte: Bei den europäische Steinbauten wurden die  Quader zunächst fertig bearbeitet und dann in einem Mörtelbett versetzt. Ganz anders in Angkor: Hier wurden die Steine stets ohne Mörtel mit sogenannten Press- oder Knirschfugen zusammengefügt, was eine außerordentlich handwerkliche und technische Meisterleistung darstellt. Diese äußerst dünnen Fugen waren Grundlage für diese typische Art der Steinbearbeitung, nämlich die Architekturgliederung erst nach dem Erstellen der gesamten Grundstruktur, quasi einem künstlichen aufgeschichteten Felsen, auszuarbeiten. Sind diese Fugen zu breit, führt dies bei der Bearbeitung unweigerlich zu einem Ausbrechen der Kanten, da immer über die Fugen hinweg bearbeitet wurde. Dies bedingt somit auch, dass diese präzisen Fugen nicht nur im Randbereich ausgeführt werden mussten, sondern sondern weit ins Steininnere, da das später auszuarbeitende Profil oder Relief eine Tiefe von 20 cm oder auch deutlich mehr erreichen konnte. Die folgenden Aufnahmen von einem Relief in Angkor Wat zeigen dieses Fugenbild in Vollendung:

Die Tempelkubatur

Als schönes Beispiel dieser blockhaften Errichtung einer Tempelkubatur kann Ta Keo, um  1000 erbaut, herangezogen werden. Hier sind die Türme noch in einem rohen Zustand, ohne weitere Bearbeitung der Quader. Dabei ist dreierlei interessant: Zum einen haben die vier Ecktürme eine nahezu identische Quader- bzw. Fugenstruktur. Dies deutet auf eine Art Werkplan mit einer Fugenaufteilung hin. Zum andern sieht man hier Bearbeitungsspuren, die vor dem Versetzen, also am Boden bearbeitet, entstanden. Dies wird vor allem durch die nicht über die Fugen laufenden Spuren sowie immer gleich gefertigte Elemente deutlich sichtbar. Als dritte Besonderheit wurde hier ein harter Sandstein verbaut, der durch die Steinmetze teilweise in einer etwas anderen Art als die sonst weicheren Steine bearbeitet wurde: Um die Oberfläche zu glätten, wurden die Eisen aufgrund der höheren Materialhärte senkrecht geführt. 

Transportlöcher

An unzähligen Steinblöcken der Tempel von Angkor fallen die runden Löcher in der Steinoberfläche auf. Sie befinden sich sowohl an den seitlichen vertikalen als auch an den horizontalen Flächen. So wird angenommen, dass in diese Löcher Holzpflöcke gesteckt wurden um die Quader anzuheben bzw. zu bewegen (siehe auch weiter unten). Durch die spätere Bearbeitung der Oberfläche sind viele, aber bei weitem nicht alle dieser Löcher verschwunden.

Löcher an einer noch unbearbeiteten Wand (Preah Pitu). Foto: P. Völkle ©

Löcher in einem Fußboden in Angkor Wat. Foto: P. Völkle ©

Durch das Zurückarbeiten der Oberfläche freigelegte Transportlöcher. Foto: P. Völkle ©

Detail: Die Abmessungen betragen ca. 4 x 8 cm. Foto: P. Völkle ©

Einpassen der Steine

Außer den Baubefunden gibt es leider auch hier kaum Hinweise auf die Bautechnik der Khmer. Lediglich die Reliefs des Bayon-Tempels (Ende 12. Jh.) dienen - wie schon beim Steinabbau erwähnt - seit langem als Erklärung für den schwierigen Prozess der Mauerherstellung. Dieses Relief zeigt ein hölzernes Gestell, an dem eine Hebevorrichtung mit einem sehr großen Hebelarm hängt. Damit hebt ein Arbeiter den Stein an, zwei weitere bewegen ihn hin und her und schleifen ihn durch die abrasiven Körner des Sandsteins passgenau an den nächsten Stein, so dass die oben gezeigten, sehr feinen Pressfugen entstehen. Dabei wird auch die Funktion der eingesteckten Holzpflöcke als Haltevorrichtung ersichtlich. Die Rekonstruktion eines solchen Gerätes steht heute vor dem Bayon-Tempel.

In Phnom Bakeng wurden in den vergangenen Jahren mit amerikanischer Unterstützung  (WMF) große Teile des instabilen Tempelunterbaus demontiert.  Betrachtet man diese ausgebaute Werkstücke, kann man diese geschliffenen Fugenflächen sehr gut beobachten: Sie zeigen zum Teil sehr fein geschliffene, oft aber auch nur leicht überschliffene Flächen mit den Spuren der Vorarbeit. Die Betrachtung weiterer Mauerstrukturen wirft jedoch viele Fragen auf und es finden sich widersprüchliche Spuren. So etwa an drei Seiten eingeschliffene Eckstücke (was kaum möglich erscheint) oder rinnenförmige Vertiefungen, die den Schleifprozess nur in eine Richtung ermöglichen, jedoch offensichtlich an den querlaufenden Fugenflächen dennoch eingeschliffen sind. Auch die bis zu mehreren Tonnen schweren Blöcke (die insbesondere in Sockelzonen verbaut wurden) und die schiere Menge der verarbeiteten Steine strapazieren das Vorstellungsvermögen erheblich.

Phnom Bakeng:  Blick auf die ausgebauten Mauersteine. Foto: P. Völkle ©

Die Quader haben teilweise sehr komplexe Formen. Man erkennt die aufgezeichneten Nummerierungen für die spätere Wiedermontage. Foto: P. Völkle ©

In dieser fein geschliffenen Fugenfläche sind noch grobe Spitzspuren sichtbar. Foto: P. Völkle ©

Hier ist das Nut- und Feder System deutlich erkennbar. Foto: P. Völkle ©

In der Tradition von Holzverbindungen

Neben der Mauertechnik ist die Verbindungstechnik der Khmer-Bauten sehr interessant und für Steinbauten auch ungewöhnlich. Die oft zitierte Ähnlichkeit mit Holzverbindungen ist vor allem in der Frühzeit auffallend. So zeigen die Türstürze regelrechte Zapfenverbindungen, bei denen Gewände und Türsturz in unterschiedlicher Weise durch gerade Verbindungen oder auf Gehrung verbunden sind. Auch die davor stehenden, gedrechselten  Säulen sind unten und oben mit einer runden oder eckigen Zapfenverbindung eingepasst, ebenso die Baluster in den Fensteröffnungen. Diese Konstruktion sieht zwar elegant aus, bedeutet aber einen enormen Mehraufwand an Arbeit und eine Schwächung der Statik.

Preah Ko, spätes 9. Jhd.  Gedrechselte Baluster mit einer auf Gehrung gearbeiteten Einfassung. Foto: P. Völkle ©

Detail der Gehrung mit Zapfenverbindung. Foto: P. Völkle

Die Stirnseite der Zapfenverbindung.  Foto: P. Völkle ©

Angkor Wat: Drechselspuren an einer Säule. Foto: P. Völkle

Preah Ko: Die Zapfenverbindungen sind an den umgefallenen Säulen gut erkennbar. Foto: P. Völkle ©

Rekonstruktion von Arbeitsschritten und Werkzeugen

Zusammen mit den Bearbeitungsspuren und dem kompletten Bearbeitungsprozess von der rohen zur fertigen Oberfläche soll nun der Versuch unternommen werden, die dafür benötigten Werkzeuge zu rekonstruieren. Aufgrund fehlender Originalwerkzeuge und der nur sehr rudimentären Reliefdarstellungen, müssen die Werkzeuge vor allem anhand der vorgefundenen Spuren und deren Interpretation rekonstruiert werden. Darüber hinaus können Rückschlüsse auf rezente, d.h. von heutigen kambodschanischen Steinmetzen verwendete Werkzeuge gezogen werden.

Die Arbeitsspuren in den "Bibliotheken"

 Arbeitsprozesse lassen sich besonders gut an unfertigen Bauteilen ablesen. Diese sind an vielen Tempeln in großer Zahl vorhanden, besonders aussagekräftig aber an den sogenannten „Bibliotheken“ von Angkor Wat. Dort ist der nördliche Bau noch weitgehend im Rohzustand, der südliche, exakt baugleiche, dagegen schon weitgehend fertiggestellt. Ein Blick ins Innere zeigt dies deutlich. Die Seitenlänge der rohen Pfeiler beträgt ca. 52 cm, die der fertigen ca. 47 cm, es wurden also 5 cm bis zur fertigen Oberfläche abgetragen. Beim obersten Block wurde die Ausladung für die Ausarbeitung der Profile benötigt und man kann gut erkennen, wie viel Material hier nach dem Versetzen noch abgetragen werden musste. 

Die grob bearbeiteten Pfeiler des nördlichen Baues. Foto: P. Völkle ©

Hier die fertiggestellten Pfeiler der südlichen Bibliothek. Foto: P. Völkle ©

Die Werkzeuge

Betrachtet man nun die Bearbeitungsspuren, so fällt folgendes auf: In einem kleinen Bereich sind noch die Abbauspuren aus dem Steinbruch sichtbar, der Block wurde also kaum bearbeitet eingesetzt. Im Bereich darunter sind jedoch über die Blockgrenzen hinweg sichtbare Spuren mit einem ca. 5 mm breiten Eisen (Meißel) zu erkennen. Diese sind teils regelmäßig, teils auch sehr unregelmäßige ausgeführt. Diese Spuren finden sich während der gesamten Angkor-Periode und auch bereits davor an jedem grob belassenen Bauteil. An einigen Pfeilern wurde mit dem gleichen Werkzeug auch eine Art Mittelachse eingraviert, die vermutlich den Steinmetzen als Bezugslinie diente. Randschläge, die das Werkstück einfassen, sind dagegen eher selten. Dieses in Europa wichtige technische Element zur passgenauen Herstellung der Blöcke spielt in der Angkor-Periode nur eine sehr untergeordnete Rolle. Wenn Randschläge vorkommen, dann nur in einer sehr schmalen Ausführung, hergestellt mit dem gleichen schmalen Eisen wie die übrige Bearbeitung.

Der obere Pfeil markiert die Steinbruchspuren, der Mittlere die Bearbeitungsspuren über die Fuge hinweg und der Pfeil rechts unten zeigt die eingravierte Mittelachse. Foto: P. Völkle ©

Die genaue Form dieses Werkzeugs ist – außer der Schneidbreite - aufgrund fehlender Originalexemplare nicht mehr exakt bekannt. Da es aber auch heute noch eine Vielzahl ähnlicher Werkzeuge gibt, entspricht es einem heutigen sogenannten Beizeisen oder etwa einem Spitzeisen mit flachgeschliffener Spitze, dem Bossiereisen. Die Handhabung dieses Werkzeugs ist recht einfach und man kann damit sehr grobe Vorarbeiten wie auch feinere Detailarbeiten durchführen. Es handelt sich – ob mit dem eisernen Fäustel oder hölzernen Klopfholz angetrieben -  ohne Zweifel um eines der wichtigsten Werkzeuge im Betrachtungszeitraum. Ein Werkzeugsatz in der Ausstellung vor dem Bayon-Tempel zeigt, wie Hammer und Meißel ausgesehen haben könnten. 

Das Glätten der Oberfläche

Im nächsten Arbeitsschritt wurde diese noch grobe, aber bereits relativ ebene Oberfläche weiter geglättet. Diesen Arbeitsfortschritt kann man an vielen unfertigen Stellen im Angkor Wat beobachten. Das dafür eingesetzte Eisen ist breiter als das eben beschriebene, meist hat es eine Schneidebreite von etwa 20-30 mm und entspricht damit einem europäischen Schlageisen. Damit kann die Oberfläche in einem oder mehreren Durchgängen sehr schnell und effektiv geebnet werden. Häufig sieht man bei diesem Arbeitsdurchgang eine radiale Werkzeugführung, die sich aus dem natürlichen Arbeitsablauf und dem Standpunkt des Steinmetzes ergibt. 

In der oberen Bildhälfte sind die horizontalen Spuren des Beizeisens zu sehen, unten die radial geführten Hiebe des Schlageisens. Foto: P. Völkle ©

Hier sind die Hiebe des Schlageisens besonders gut erkennbar. Sie wechseln mehrfach die Richtung und gehen über die dünne, horizontale Fuge. Foto: P. Völkle ©

Die hier gezeigten Werkzeuge sind zwar europäische Eisen, doch dürften sie sich kaum von denen der Khmer unterscheiden. Was immer wieder auffällt, ist die große Unebenheit der Oberfläche. Dellenförmige Vertiefungen von bis zu mehreren Zentimetern sind keine Seltenheit. Der Grund dafür liegt sicher in der sehr hohen Geschwindigkeit des Arbeitsprozesses: Jedes Anlegen einer exakten Hilfsfläche erfordert enorm viel Zeit. Ziel dieser Oberflächenglättung war es, eine einigermaßen ruhige Oberfläche zum Anzeichnen der nachfolgenden Arbeitsschritte zu erhalten. Deshalb wurde in den wichtigen Bereichen die Oberfläche zusätzlich mit Sandsteinstücken überschliffen, was auf der nebenstehenden Abbildung an den langen Kratzspuren deutlich zu erkennen ist. Die vorhergehenden Bearbeitungsspuren blieben auch danach sehr oft sichtbar und können in vielen, auch sehr glatten Steinoberflächen abgelesen werden. Typisch sind vor allem die Spuren des Beizeisens, die mit seinen charakteristischen, abgehackten Spuren.

Schlageisen in verschiedenen Breiten. Foto: P. Völkle ©

Oben die Reste der vorherigen Bearbeitung mit dem Beizeisen. Unten rechts die Spuren des Schleifvorgangs. Foto: P. Völkle ©

Mit den bisher dargestellten Schritten war also die Oberfläche für das weitere Vorgehen vorbereitet und man konnte die geometrischen oder plastischen Umrisse anzeichnen.

Ausarbeiten der Profile

Wenden wir uns zunächst den Profilen zu, die in großem Umfang viele Bauteile zieren. Auch hier kann man an verschiedenen unfertigen Beispielen die Vorgehensweise ablesen. Aus europäischer Sicht am interessantesten ist sicherlich die Art der Ausarbeitung. War es in Europa üblich, Profile geometrisch mit Winkel und Schablonen systematisch anzulegen, so wurden die Profile in der Angkor-Periode sehr frei und eher nach bildhauerischen Grundsätzen herausgearbeitet. Das heißt, sie wurden nicht als geometrische, sondern als plastische Form aufgefasst und im Prinzip mit den gleichen Werkzeugen bearbeitet, die bereits für die Oberflächenvorbereitung verwendet wurden. Wie im Detail gut zu erkennen ist, verlaufen die Linien ziemlich frei, die etwa 5 mm breiten Spuren des Eisens sind auch hier sehr gut zu erkennen. Besonders beeindruckend ist der Erhaltungszustand dieses unfertigen Bauteils. Man hat das Gefühl, die Steinmetze hätten die Baustelle eben erst verlassen. Auch bei diesem Bauteil findet sich das fertige Pendent in der südlichen Bibliothek.

Ausarbeiten der Reliefs

Neben den Profilen bilden die Reliefs die zweite große Gruppe der bildhauerischen Oberflächengestaltung. Apsaras und Dervatas bedecken zu tausenden die gestalteten Wandflächen der Tempel in Angkor, vielfältige und faszinierende Darstellungen zeugen von der großartigen Kunstfertigkeit der Khmer-Bildhauer. Aus der großen Vielfalt unterschiedlichster Relieftechniken kann hier nur eine kleine Auswahl dargestellt werden,  zunächst eine sehr flach gearbeitete Figurengruppe mit Ornamenten im Angkor Wat. Auch hier finden sich unterschiedliche Stadien, zunächst die Vorzeichnung, die mit einem Pinsel und schwarzer Farbe angezeichnet wurde. Im nächsten Schritt sind die Umrisse in großen Teilen schon nachgraviert, auch dies wurde mit einem schmalen, feinen Eisen durchgeführt. Auf dem nächsten Bild sieht man bereits die groben Umrisse, die kleine Figur in der Mitte ist ebenfalls angelegt. Auf dem letzten Bild ist der florale Schmuck bereits weitgehend fertig und die beiden Apsaras in zwei verschiedenen Zuständen: die rechte als Umriss eingraviert, die linke weitgehend als Flachrelief ausgearbeitet. Hier kamen sicher sehr feine Werkzeuge zum Einsatz, mit einer Schneidebreite von etwa 3-10 mm. 

Vorzeichnung mit Pinsel und schwarzer Farbe. Foto: P. Völkle ©

Die groben Umrisse sind eingraviert, ebenso die kleine Figur in der Mitte. Foto: P. Völkle ©

Der florale Schmuck ist weitgehend fertig, die Apsaras angelegt.  Foto: P. Völkle ©

Detail der beiden Apsaras: rechts als Umriss, links bereits als Flachrelief erkennbar. Foto: P. Völkle ©

Als zweites Beispiel für eine bildhauerische Arbeit eignen sich die unfertigen Devatas am Angkor Wat. Auch hier sieht man links den eingravierten Umriss, die einstige Vorzeichnung ist hier durch die Bewitterung längst verloren. In der Mitte wurde die Figur bereits plastisch angelegt und in die Tiefe gearbeitet. Es sind punktförmige Hiebe sichtbar, erzeugt durch das steil geführte Eisen, daneben mit dem gleichen Werkzeug linear angelegte Oberflächen. Rechts schließlich die fast fertige Figur, die Oberfläche wurde auch hier geglättet und die feine Ornamentik teilweise angelegt. Es ist ein besonderer Glücksfall, dass sich an der östlichen Galerie insgesamt etwa 10 unvollendeten Figuren erhalten haben. Dadurch bekommen wir einen unverfälschten Einblick in die bildhauerische Arbeitstechnik.

Von links nach rechts sind die Arbeitsschritte gut ablesbar. Die Fehlstellen im unteren Bereich sind durch Verwitterung entstanden. Foto: P. Völkle ©

Hier drei fertig ausgearbeitet Devatas. Foto: P. Völkle ©

Die Türstürze ("Lintels")

Auch an Türstürzen findet sich reichhaltiger, bildhauerischer Schmuck. Vor allem die Tempelanlage Pre Rup aus dem 10. Jhd. bietet ein faszinierendes Spektrum unterschiedlicher Arbeitsstadien.  Nachfolgend eines von mehreren Beispielen an denen viele Arbeitsschritte ablesbar sind:

Résumé

Abschließend und stark vereinfachend kann folgendes festgehalten werden: Die Steinmetze und Bildhauer der Angkor- und Pre Angkor Epoche hatten nur wenige, aber sehr effektive Werkzeuge im Einsatz: Eisen in den Breiten zwischen etwa 3 und 30 mm, teilweise etwas rund geschliffen, angetrieben wurden sie durch Eisenhammer und Holzknüpfel. Dabei wurden diese Werkzeuge sowohl für die Bearbeitung der einfachen Oberflächen wie auch für Ornamente und Skulpturen verwendet. Was am meisten erstaunt, ist die Tatsache, dass sich die Bearbeitung – ganz anders als in Europa - zwischen dem 9. und 15. Jahrhundert kaum ändert. Aber eines ist sicher: Die Steinmetze und Bildhauer jener Zeit waren Meister ihres Fachs, und die Tempelanlagen von Angkor nötigen ihren Erbauern größten Respekt und Bewunderung ab. 

Arbeitsspuren in Preah Ko, 9. Jhd. Foto: P. Völkle ©

Arbeitsspuren Bei Prasat, 10. Jhd. Foto: P. Völkle ©

Arbeitsspuren Prah Khan, Ende 12. Jhd. Foto: P. Völkle ©