
Tempel des Hephaistos, Athen, (um 450 v. Chr.): Einer der besterhaltenen Tempel der griechischen Antike. Foto: P. Völkle ©
GRUNDLAGEN UND FACHBEGRIFFE
Auf dieser Seite sind einige wichtige Fachbegriffe zur Steinbearbeitung und Bautechnik der griechischen Antike zusammengefasst, der Schwerpunkt liegt auf der Werksteinbearbeitung (insbesondere Kalkstein) und der Mauertechnik.* Aufgrund der großen Vielfalt kann es sich hierbei jedoch nur um einen groben und vereinfachten Überblick handeln.
*Nicht berücksichtigt sind hier Bauten aus Kleinasien, den griech. Inseln sowie Bildhauertechniken.
Technische Begriffe am Werkstück
Die Bearbeitung von Werksteinen erfolgt seit Jahrtausenden nach bestimmten Regeln. Diese ergeben sich aus dem Anspruch, aus einem rohen Steinblock einen Quader mit exakt zueinander passenden Fugenflächen zu erhalten [1,2]. Zum Einebnen einer Fläche wird dazu zunächst der sogenannte Randschlag angelegt. Dabei wird mit einem Schlag- oder Zahneisen an allen vier Seiten ein "Schlag gezogen", dieser fasst die zu bearbeitenden Fläche ein und ermöglicht das Anlegen einer exakt ausgerichteten Oberfläche (Abb. 1 und 2). Diese Fläche kann entweder als im Mauerinneren liegende Lager- bzw. Fugenfläche (Abb. 1) oder als Sichtfläche, dem sogenannten "Spiegel" ausgeführt werden (Abb. 2). Wird die Sichtfläche grob belassen, spricht man von einem "Bossenquader" oder auch "Flächenbosse" (zum erweiterten "Bossenbegriff" siehe unten ). Wird der Bossen ohne Randschlag angelegt, wird diese Kante mit dem Setz- oder Sprengeisen angelegt und kann als "Referenzkante" bezeichnet werden (Abb.1).
1: Details zur Werksteinbearbeitung: Völkle, Peter: Werkplanung und Steinbearbeitung im Mittelalter, S. 86.
2: Eine sehr umfassende Beschreibung antiker Werksteinbezeichnung findet sich in: Giese, Jürgen und Grawehr, Matthias: Terminologie und Stellung in den antiken Werkprozessen, in: Aspekte von Unfertigkeit in der kaiserzeitlichen Architektur. Ergebnisse eines Workshops am Architekturreferat des Deutschen Archäologischen Instituts, 26. und 27. September 2016, TUK 1 (Berlin 2021) S. 7–20.
Abb. 1: Die wichtigsten Bezeichnungen an einem Bossenquader aus Kalkstein 1: Randschlag in der Lagerfläche, breit, gezahnt 2: Schmal ausgeführter Randschlag im Bereich der Stoßfuge 3: Lagerfläche, hier rel. grob gespitzt 4: Referenzkante 5: Flächenbosse ohne weitere Bearbeitung. (Epidauros). Foto: P. Völkle
Bossen
Der Begriff "Bosse" wird heute meist sehr allgemein für grob bearbeitete, vorstehende Quaderflächen verwendet. Bei antiken Werksteinbauten muss dieser Begriff jedoch sehr differenziert verwendet werden, da die Bosse - je nach Form und Ausbildung - sehr unterschiedliche Funktionen erfüllt [3]. Kurz zusammengefasst lassen sich folgende Formen unterscheiden:
Flächenbossen
- Wie oben bereits beschrieben, handelt es sich bei dieser Form zum einen um die grob belassene Oberfläche der Sichtfläche. Diese kann (mit oder ohne Randschlag) entweder als rohe Bruchfläche, manchmal aber auch mit (groben) Bearbeitungsspuren vorkommen (Abb. 1).
- Flächenbossen können aber auch handwerklich gestaltet sein, etwa als "Polsterbossen" (Abb. 2).
Buckelbossen
Buckelbossen können, je nach Lage und Form, unterschiedliche Funktionen haben. Allen gemeinsam ist, dass die Erhebung im Spiegel nur einen kleinen Teil der Fläche einnimmt.
- Sehr häufig finden sich die sogenannten Versatzbossen, meist mittig auf dem Quaderspiegel. Diese dienten zum Anheben der Quader mittels Seilschlinge (Abb. 3). Befinden sich die Bossen nahe am Unterlager, diente es zum Ansetzen eines Hebeisens (Stemmbosse), Abb. 4.
- Manchmal wurden auch Buchstabenkürzel auf Buckelbossen eingraviert. Meist sind diese wohl als normale Steinmetzzeichen in den abgearbeiteten Werkzoll graviert worden um die Urheberschaft zu dokumentieren. Bisher konnte nur am Apollontempel von Didyma ein damit zusammenhängendes Abrechnungssystem nachgewiesen werden [4].
3: Ausführlich zu diesem Thema: Matthias Grawehr: Buckelbossen in der antiken Architektur, in: Unfertigkeit in antiker Architektur. Definition und Ursachen, Beihefte der Bonner Jahrbücher, Band 61, Darmstadt 2018. S. 11-38.
4: Einen sehr interessanten Überblick dazu findet sich bei Matthias Grawehr [3, S. 28-30].
Abb. 1: Flächenbossen ohne Randschlag. Auffallend die exakt ausgeführten Fugen (Messene, Theater, 4. Jhd. v. Chr.). Foto: P. Völkle ©
Abb. 2: Halbrund ausgearbeitete Polsterbossen mit angeschrägten Seiten (Messene, 4. Jhd. v. Chr.). Foto: P. Völkle ©
Abb. 3: Versatzbossen zum Ansetzen der Seilschlingen. (Athen, Dyonisostheater, 4. Jhd. v. Chr.). Foto: P. Völkle ©
Einige Beispiele griechischer Steinbearbeitung
Die Steinbearbeitung im antiken Griechenland ist äußerst vielfältig. Je nach Zeit, Ort, Werkzeug und Material gibt es sehr unterschiedliche Techniken und Traditionen. Die folgenden Bilder sind nur eine kleine Auswahl und vereinfachte Zusammenstellung verschiedener Arbeitsschritte und sollen einen kleinen Einblick in die Vielfalt der handwerklichen Techniken geben [5].
5: Literatur: Eine gute Übersicht mit verschiedenen Beiträgen findet sich in: Werkspuren - Materialverarbeitung und handwerkliches Wissen im antiken Bauwesen. Regensburg 2017.
- Manolis Korres – Aenne Ohnesorg, Werkspuren im antiken Griechenland – Technik und Terminologie, mit einem Annex zu speziellen Werkspuren am Parthenon. S. 11-32.
- Uta Dirschedl, Vom ›σκέπαρνον‹ zum Zahneisen – Werkspuren an Kalkstein-, Kalkmergel- und Marmorwerkstücken des archaischen Didymaion, S. 63-88.
Grob gespitzt
Die langgezogenen Spitzspuren deuten auf das mit einem Fäustel getriebene Spitzeisen hin. Diese Bearbeitungsart gehört bis heute zu den grundlegenden Arbeitstechniken jeder Steinbearbeitung.
Grob gespitzte unregelmäßige Kalksteinquader (Delphi, Stützmauer, 5. Jhd. v. Chr.). Foto: P. Völkle ©
Spitzhiebe als Musterung (Kerbendekor)
Diese Zierbearbeitung wurde mit einem Spitzeisen ausgeführt, wobei das Eisen jeweils in kurzen Abschnitten in Bahnen geführt wurde. Diese Art der Bearbeitung war im 4. und 3. Jh. v. Chr. weit verbreitet und wurde vor allem als dekoratives Gestaltungselement an Sockeln und Terrassenmauern verwendet [6].
6: Siehe auch: Jürgen Giese: "Kerbendekor" und "gesäumte Spitzung". Zur Entwicklung und Bedeutung griechischer Werksteinoberflächen im 4. Jh. v. Chr. In: Werkspuren - Materialverarbeitung und handwerkliches Wissen im antiken Bauwesen p. 119-133. Regensburg 2017.
Kalksteinquader mit einem etwas unregelmäßigen Kerbendekor (Epidauros, 4. Jhd. v. Chr.). Foto: P. Völkle ©
Kerbendekor mit etwa 3 cm langen geraden Spitzspuren (Epidauros, 4. Jhd. v. Chr.). Foto: P. Völkle ©
Fein gespitzt oder gepickt
Dieser Arbeitsgang erfolgt mit dem Spitzeisen oder Zweispitz. Die Unterscheidung der eingesetzten Werkszeuge ist meist nicht oder nur schwer möglich.
Fein gepickter Mauerstein mit Zangenloch (Delphi, Stützmauer des Apollontempels, ca. 540 v. Chr.). Foto: P. Völkle ©
Gezahnte Oberfläche
Diese Bearbeitung wurde mit Zahnfläche, Zahndechsel oder Zahneisen durchgeführt. Auch hier ist eine Unterscheidung der unterschiedlichen Werkzeuge schwierig. Die Entwicklung der gezahnten Werkzeuge ist nach wie vor nicht umfassend geklärt. Aber es deutet vieles darauf hin, dass sich die Zahnung zu Beginn des 6. Jhds. v. Chr. verbreitete und zu einer der wichtigen Oberflächenbearbeitungen der griechischen Antike wurde [5].
Fein gezahnter Orthostat , das Zahneisen war etwa 3,5 cm breit mit 12 Zähnen (Messene, 4. Jhd. v. Chr.). Foto: P. Völkle ©
Scharrierte Oberfläche
Die Scharrierung gilt eigentlich als eine Neuerfindung der mitteleuropäischen Gotik ab ca. 1450 [7]. Allerdings finden sich sowohl in der griechischen wie römischen Antike Bearbeitungsspuren, die dem typischen Bild des Scharrierens entsprechen. So wurden in Nemea die Oberflächen mit einem ca. 6 cm bzw. 14 cm (!) breiten Eisen (Meißel) in Bahnen scharriert. Diese Bearbeitung findet sich sowohl an Werkstücken des Zeustempels (ca. 330 v. Chr.) als auch im 36 m langen Tunnel zum Stadion (320 v. Chr., 1978 ausgegraben [7]). Das Material für diese Bauten stammt vermutlich aus dem Steinbruch von Kleonai.
7: Zum Scharrieren siehe Völkle, Peter: Werkplanung und Steinbearbeitung im Mittelalter, S. 134 -139. Ulm 2016.
8: Miller, Stephen: Nemea, The Hidden Entrance,. 2012.
Die Wandflächen sind unterhalb des Tonnengewölbes durchgehend gleich bearbeitet (Nemea, 320. v. Chr.). Foto: P. Völkle ©
Ein weiteres Beispiel findet sich in Glanum, einer gallo-römischen Stadt in Südfrankreich. Hier finden sich an den aus hellenistischer Zeit stammenden Bauteilen zahlreiche scharrierte Oberflächen. Interessanterweise wurden hier sogar die Randschläge mit der gleichen Werkzeugbreite angelegt. Neben geraden, bahnscharrierten Oberflächen finden sich auch zahlreiche Fischgratmuster.
Bahnscharrierte Quader In der aus hellenistischer Zeit stammenden Markthalle (Glanum, 2. Jhd. v. Chr.). Foto: P. Völkle ©
Mit Fischgratmuster scharrierte Quader der Quelleinfassung (Glanum, 2. Jhd. v. Chr.). Foto: P. Völkle ©
Anathyrose
Typisch für den griechischen Werksteinbau sind die präzise ausgeführten Fugen sowie das mörtellose Versetzen der Mauerquader. Dazu wurden vor allem die vertikalen Stoßfugen (teilweise aber auch die Lagerflächen) mit breiten Saumschlägen an den Rändern versehen, während die Fläche gröber bearbeitet und in der Flucht etwas zurückgesetzt wurde. Diese sogenannte Anathyrose hat den großen Vorteil, dass nur die Randschläge sehr präzise ausgeführt werden mussten. Die Verbindung der Quader untereinander erfolgte dann durch horizontal eingelassene Metallklammern, die meist eingebleit wurden (siehe unten).
An diesem ausgebauten Werkstück aus Marmor ist die Anathyrose besonders gut sichtbar (Athen, Akropolis). Foto: P. Völkle ©
Auch an diesem ausgebrochenen Stylobat ist die Anathyrose gut zu erkennen (Athen, Tempel des Hephaistos, um 450 v. Chr.). Foto: P. Völkle ©
Verbindungsmittel
Die Metallverbindungen der Quader untereinander waren vielfältig. Meist waren es einfache Metallklammern, die U-förmig in Vertiefungen eingelegt und verbleit wurden (Abb. 1 + 2). Weiter kamen T-förmige Klammern zum Einsatz (Abb. 3) und auch schwalbenschwanzförmige Verbindungen finden sich (Abb. 4). Vertikale Eisendübel dienten der Verbindung übereinander liegender Werkstücke. Hier finden sich zahlreiche Dübellöcher, häufig sind auch noch die Eingusskanäle in den Lagerflächen sichtbar (Abb. 5). Über diese wurde das flüssige Blei durch die dicht schließenden Fugen nach dem Versetzen der Werkstücke eingegossen.
Die Mauerwerksformen
Die Vielfalt und Perfektion antiker griechischer Mauerwerksformen ist beeindruckend. Die mörtellose Bauweise führte zu sehr präzisen Mauertechniken mit dünnen und passgenauen Fugen, die Stabilität der Mauerverbände wurde vor allem durch deren Struktur gewährleistet. Hier einige Beispiele und Begriffe [9]:
9: Grundlagen z.B. in: Wolfgang Müller-Wiener: Griechisches Bauwesen in der Antike. C.H. Beck, München 1988, S. 88
Orthostatenschicht
Orthostaten nennt man die senkrecht stehenden Steinplatten (griech. ὀρθοστάτης, aufrecht stehend) die an Tempeln oder Mauerstrukturen den Sockelbereich bilden. Meistens stehen diese zweireihig auf einer Grundplatte und schließen mit einer Deckplatte ab (siehe Schemazeichnung). Zur Stabilisierung werden sie mit Metallklammern verbunden, manchmal sind die Platten durch Binder verbunden. Die Quaderspiegel können glatt bearbeitet oder z.B. durch einen vertieften Randschlag gegliedert sein.
Blick auf eine doppelte Orthostatenreihe (Messene, Artemistempel, 4. Jhd. v. Chr.). Foto: P. Völkle ©
Isodomes Mauerwerk
Beim isodomen Mauerwerk (Opus isodomum) handelt es sich um eine Mauer mit durchgehend gleich hohen Quadern. Die vertikalen Stoßfugen können dabei sowohl vertikal als auch schräg (keilförmig) ausgeführt sein. Sind die Steinhöhen innerhalb einer Schicht gleich hoch, wechseln die Höhe aber von Lage zu Lage spricht man von einem pseudoisodomen Mauerwerk.
Zweischaliges Mauerwerk
Neben den einreihigen Mauern, bei denen die Quaderbreite der Mauerstärke entspricht, wurden in der griechischen Antike vor allem zweischalige Konstruktionen verwendet. Dabei gab es verschiedene Ausführungen: Dicht aneinander gesetzte Läufer und Binder ergaben eine stabile Verbindung, waren aber sehr aufwändig (Abb. 1). Wesentlich rationeller war es, die Innenflächen der Quader nur grob zu bearbeiten und die Zwischenräume mit Schutt auszufüllen (Abb. 2). Bei dickeren Mauern, wie z.B. Festungsmauern, ragten die Bindersteine meist nur teilweise in die Mauer ohne ganz durchzubinden (Abb. 3). Auch dies war einer rationellen Arbeitsweise geschuldet.
Abb. 1: Massives zweischaliges isodomes Mauerwerk mit Läufer und Binder (Athen, Dyonisostheater, 4. Jhd. v. Chr.). Foto: P. Völkle ©
2: Zweischaliges isodomes Mauerwerk mit durchgehenden Bindern (B) (Butrint, 3. Jhd. v. Chr.). Foto: P. Völkle ©
Polygonales Mauerwerk
Beim polygonalen Mauerwerk sind die einzelnen Steine nicht rechteckig sondern vieleckig ausgearbeitet. Wie beim isodomen Mauerwerk sind auch hier die Fugen in der Regel sehr exakt ausgeführt und ergeben ein sehr geschlossenes und kompaktes Fugenbild. Die Herstellung der polygonalen Blöcke war sehr aufwändig, die Stabilität dieser Konstruktionen scheint jedoch sehr gut zu sein. Untersuchungen zur verkeilenden Wirkung der polygonalen Steine im Vergleich zu rechteckigen Quadern ergaben eine deutlich bessere Stabilität, insbesondere im Hinblick auf die Erdbebensicherheit [10].
Lesbisches Mauerwerk
Beim Mauerwerk im "lesbischen Stil" [11] handelt es sich um eine Sonderform eines Polygonalmauerwerks. Diese Bezeichnung wird für polygonal bearbeitet Steine mit gekrümmten bzw. gekurvtem Fugenverlauf verwendet und geht vermutlich auf Aristoteles zurück. Er spricht sinngemäß davon, dass die Baumeister von Lesbos biegsamen "Lineale" aus Blei verwendeten, um die gekrümmten Fugen der Steine anzuzeichnen bzw. zu übertragen.
[11] Robert Scranton, Greek Walls, S. 25